Im besten Fall eine Monsterwelle

Elektronische Musik trifft auf die Meisterwerke Richard Wagners! Maximilian Lenz alias Westbam im Interview zu »Westbam meets Wagner«.

Wonach klingt Wagner?

Als erstes kommt dieses übergoße, düstere, überdramatisch-wagneresque Klanggewitter in den Kopf. Die berühmte »Wall of Sound« - so nennt man das im Heavy Metal, glaube ich. (lacht) Richard Wagner ist mehr Klangkünstler als Melodienerfinder. Das ist wohl auch das Moderne an ihm. Der Klangkünstler Wagner spielt mehr auf der Klaviatur der großen Gefühle als auf der Klaviatur der großen musikalischen Themen. Es bleibt - also mir jedenfalls - mehr eine Stimmung im Körper als ein Ohrwurm im Kopf. Wagner benutzt die Musik wie ein DJ, der eine Platte auflegt, um seine Leute damit in einem bestimmten Moment in die angepeilte Stimmung zu versetzen.

Was ärgert dich beziehungsweise fordert dich an der Musik Wagners heraus?

»Blues is simple music. And I’m a simple man.« Mich enerviert, ich glaube, manchmal diese weiße, europäische Überkomplexität. Die stummfilmartige Übererregung. Das ist wie Achterbahnfahren. Welcher Looping kommt hinter der nächsten scharfen Kurve? Plötzlich überschlagen sich Pauken und Trompeten in übermäßigen Akkorden und dann im nächsten Moment bricht alles zusammen und in die Stille. Ich glaube, es ist mir schlicht zu viel der künstlerischen Freiheit. Zu viel Abwechslung. Zu viel von allem. (lacht) Immer warte ich auf den Groove. Der natürlich bei Wagner nie kommt. Ich bin ein Kind der schwarzen Musik. Sozialisiert vom Beat, der niemals stoppt. Und aus diesem Blickwinkel wirkt Wagner schon sehr exotisch. Die Herausforderung und höchste Kunst besteht darin, dass, wenn man das alles zusammenzumixen versucht, sich diese unterschiedlichen musikalischen Wellen nicht gegenseitig auflösen, sondern im besten Fall verstärken. Und zu einer Monsterwelle werden. (lacht)

Date mit Wagner: Wohin führst du ihn und worüber sprichst du mit ihm?

Ich würde Wagner in ein Dolby-Surround-3D-Kino auf dem Berliner Alexanderplatz einladen. Gerne auch noch mit König Ludwig II. als Begleitung. Gegeben würde »Avatar 2« von James Cameron. Was der Kondition des Zuschauers ja ähnlich viel abfordert wie »Der Ring des Nibelungen«. Ich kaufe den beiden natürlich stilecht Popcorn, setze ihnen 3D-Brillen auf und mich in der Reihe dahinter. Die meisten Fragen wären danach wahrscheinlich schon geklärt. Da müssten wir gar nicht mehr reden. Mein Tipp wäre, dass es Wagner auf wahnsinnig viele neue Idee brächte, wie es jetzt bei ihm weitergehen müsste.

Genregrenzen sind da, um überwunden zu werden, oder?

Ach … naja … Jetzt auch noch mal: Lang lebe die Grenze! Ohne Grenzen wird’s ja immer auch schnell uferlos. (lacht) Aber was bestimmt so ist: Wer sich in sein Genre einschließt, verschließt sein Herz. Und bei allem, was man sagt über unsere Welt, in der ständig überwunden wird und in der ständig das eine das andere auffrisst … Also: Was man als menschliches Hauptthema, natürlich auch von Wagner, nicht vergessen darf, ist die Macht der Liebe. Also die Überwindung von Grenzen als Selbstüberwindung der eigenen Grenze. Hatte ich schon erwähnt, unter welchem Titel unser Abend laufen wird? »Night of Love«. Wie schön! Dazu muss man vielleicht auch noch erklären: Das Vocal-Thema ist eine großes Experimentierfeld dieses Projekts, wie sich herausgestellt hat. Es treten bei mir ganz andere Stimmen auf, die komplett anders klingen als die Opernstimmen. Da taucht zum Beispiel Dieter Meier von »Yello« auf und besingt sein vergebliches Warten in einer Bar, und Richard Butler von den »Psychadelic Furs« besingt wagneresque Geschichten aus der Dunkelheit. Und dann geht es in der nächsten Szene Kunstwerk-der-Zukunft-mäßig futuristisch um Laika, das erste Lebewesen von der Erde, das ins Weltall flog. Mit den Handlungen aus Wagners Opern gibt’s kaum direkte Überschneidungen. Nur ein echtes Wagner-Textzitat kommt vor. Und das wiederum wird gesungen von Robert Owens, einer der großen schwarzen Soulstimmen. Ich habe ihn über das Präludium (des dritten Aktes) aus »Tristan und Isolde« singen lassen. Und allein mir das anhören zu können, war alle Mühen wert. Wie herzzerreißend deep und soulig Robert Owens über Wagners Musik singt: »Sink down on me, o beautiful night of love.«

Was ist die größte Überraschung des Projekts?

Hier kommt jetzt zuletzt noch etwas Prosa von mir zu der Techno-Oper meines Lebens. Zur Einstimmung.


Nacht der Liebe.
Salzburg. Vorspiel

Vor einem Jahr erhielt ich den Anruf und es hieß: »Max, zu den Osterfestspielen in Salzburg wollen die irgendwas mit dir machen. Mit dir und irgendwas mit Wagner.« Es war nicht gleich ganz klar, was. Irgendeinen Remix-Act. »Ach, das klingt ja toll.« Gleich am Abend des ersten Gerüchts lud ich mir das Vorspiel von »Das Rheingold« herunter und fing an, daran herumzuspielen. Mit kleinen Loops der ersten, knarzigen Geräusche, die ich hörte, mit Overdrive- und Reverb-Effekten auf dem anschwellenden Wagner-Sound. Auch gleich mit ein paar langgezogenen Hits der Roland TR-808 Bass Drum. Toll. Passt perfekt. In den folgenden Monaten sah ich alles an seinen Platz fallen. Gesänge, Klänge, darke Wagner-Vibes zu darken Technobeats. Präludien zu Plattenkratzen. Ausgewählte Stereoeffekte zu ausgewählten Ben-Becker-Monologen. Und so weiter. Ich wollte die Lichtjahre krümmen, die zwischen den Wagner- und Techno-Soundgalaxien liegen. Und für einen kurzen, fast blitzartigen Moment diese beiden Welten überblenden, zu einem neuen, flüchtigen Licht- und Klanggebilde. Was nach 90 Minuten in einem schwarzen Loch verschwindet. Also ganz anders als Wagner. Nichts für die Ewigkeit. Nur für das Hier und Jetzt, oder besser: das Dann und Dort, wie ich es mir vorstelle. Und danach auch Done und Gone. Also, auch da wieder mehr wie in der schwarzen Musik: mehr Jazz als Klassik. Hinter sich herziehend ein Kometenschweif von wütenden Buhrufen. Vielleicht. Oder Begeisterungsstürmen? Who knows? Wir werden es erleben. I am ready. »Sink down on me, o beautiful night of love.« Und das Einzige, was danach dem Ereignishorizont entfliehen wird, sind die Wellen meiner Dankbarkeit. Und wie der sterbende Android auf dem Dach in der berühmten »Tränen im Regen«-Szene des »Blade Runner«-Epos werde ich eines Tages daliegen und sagen: »I’ve seen things you people wouldn’t believe.«