Ein Espresso mit Tschaikowski, ein Glas Riesling mit Grieg und Wodka mit Schostakowitsch

Das Orchesterkonzert III wird von dem italienischen Dirigenten Gianandrea Noseda dirigiert. Gemeinsam mit dem Violinisten Augustin Hadelich und dem Mahler Chamber Orchestra gestaltet er einen Abend mit Werken von Edvard Grieg, Peter I. Tschaikowski und Dmitri Schostakowitsch. Erfahren Sie mehr über dieses außergewöhnliche Konzertprogramm im Interview.

Herr Noseda, es ist nicht das erste Mal, dass Sie in Salzburg auftreten werden. Was ist Ihre besondere Verbindung zu dieser Stadt?

Gianandrea Noseda: Ich habe Salzburg als Kind mit meinen Eltern besucht. Als junger Musiker kehrte ich zurück, um einige Opernaufführungen zu besuchen, die auf den Residenzplatz projiziert wurden. Als Dirigent wurde ich eingeladen, Giuseppe Verdis »Il Trovatore« bei den Festspielen 2015 zu dirigieren, und jetzt kehre ich zu den Osterfestspielen zurück, um ein Konzert mit dem Mahler Chamber Orchestra zu geben. Es ist immer wieder eine Freude, in eine der großen Musikmetropolen der Welt und in die Geburtsstadt Mozarts zurückzukehren. In Salzburg existieren Modernität und Tradition nebeneinander.

Das Thema des Festivals lautet »Wunden & Wunder« - sehr passend für alle Stücke, oder?

Gianandrea Noseda: Schostakowitschs 9. Symphonie entstand inmitten der Wunden und Schrecken des Zweiten Weltkriegs und zeigt uns einen möglichen und unerwarteten Ausweg: Aus den Trümmern kann man wieder aufbauen, neu geboren werden und sich eine Zukunft vorstellen, die auf anderen Werten beruht als denen, die für den Krieg verantwortlich sind.

Hendrik Ibsens dramatisches Gedicht »Peer Gynt«, vertont von Grieg, erzählt die Geschichte vom Fall und der Erlösung eines Anti-Helden vor dem Hintergrund einer nordischen Kulisse, angereichert mit den für Skandinavien typischen Farben und Stimmungen.

Tschaikowskis Violinkonzert bereitete dem Komponisten viel Kummer, da es zunächst von prominenten Virtuosen seiner Zeit abgelehnt wurde und nach seiner Aufführung harsche Kritik erhielt. Der Erfolg, die Anerkennung und die Popularität, die das Konzert in den folgenden Jahren erlangte - und die bis heute andauern - haben jedoch seinen Status als wahres Meisterwerk gefestigt. 

Wie haben Sie die Stücke für dieses Konzert ausgewählt?

Gianandrea Noseda: Die Idee, die die Stücke des Programms verbindet, liegt in dem einzigartigen Licht des Nordens, das alle drei Werke durchdringt. Es ist das zarte, perlmuttartige Leuchten der von Fjodor Dostojewski und Ibsen beschriebenen »Weißen Nächte«, das sich im Winter in eine kalte, unheimliche und geheimnisvolle Dunkelheit verwandelt.

Augustin Hadelich spielt Tschaikowskis Violinkonzert in D-Dur op. 35 © Suxiao Yang

Der Solist ist Augustin Hadelich - Sie kennen den Künstler bereits. Wie würden Sie seinen Spielstil beschreiben?

Gianandrea Noseda: Augustin Hadelich verfügt über eine außergewöhnliche Virtuosität, die immer nur im Dienste der Musik steht. Bei seinen Auftritten geht es nie um Spektakel - sie sind reine Musik, gespielt mit Liebe und Integrität.

Schostakowitsch gilt als eine der widersprüchlichsten Komponistenpersönlichkeiten überhaupt. Warum ist das so?

Gianandrea Noseda: Schostakowitsch setzte sich vehement für künstlerische Freiheit und Unabhängigkeit ein, eine Haltung, die ihn in Konflikt mit der erdrückenden Kontrolle brachte, die die stalinistische Sowjetunion den Komponisten auferlegen wollte. Dieser innere Kampf war sein wahres Drama - doch trotz und manchmal sogar wegen der ihm auferlegten Beschränkungen fand er einen Weg, sich auszudrücken. Seine Musik ist von dieser Spannung geprägt und manifestiert sich in explosiven Klangballungen, die mit Momenten dunkler Introspektion einhergehen.

Die 9. Symphonie wurde kurz nach Kriegsende uraufgeführt und enttäuschte viele im Vergleich zur pathosgeladenen 7. , der sogenannten »Leningrader«. Warum ist das so?

Gianandrea Noseda: In der Symphonie Nr. 9 taucht ein Element flüchtiger Leichtigkeit auf, das die Wirkung der trostlosen Holzbläser-Monologe und der grotesken Blechbläserchöre noch verstärkt. Obwohl sie die kürzeste seiner Symphonien ist, offenbaren ihre fünf Sätze ein umfangreiches und meisterhaftes Konzept.

Mit welchem der Komponisten würden Sie gerne einmal etwas trinken gehen und warum?

Gianandrea Noseda: Ich würde gerne einen Espresso mit Tschaikowski trinken, um den neuen Tag mit Energie und Positivität zu beginnen. Mit Grieg würde ich ein Glas Riesling nehmen, während ich den Fluss und die Hügel von Salzburg inmitten der Natur betrachte und mit Schostakowitsch würde ich Wodka trinken und ihm durch seine dicken Brillengläser in die Augen schauen, ohne ein einziges Wort zu sagen - einfach nur um den Klang der Stille zu genießen.

Biographie
Gianandrea Noseda