Musik, die meine Emotionen bewahrt

Gautier Capuçon ist einer der gefragtesten Cellisten unserer Zeit und wird bei den Osterfestspielen in gleich zwei Konzerten mitwirken: dem Orchesterkonzert II und dem Kammerkonzert II.

Gautier Capuçon © Anoush Abrar

Gautier Capuçon, Sie spielen ein breit gefächertes Repertoire von Joseph Haydn über Ludwig van Beethoven bis hin zu Dmitri Schostakowitsch und der Moderne. In Salzburg präsentieren Sie ein Stück des französischen Organisten und Komponisten Thierry Escaich, das erst kurz davor in Leipzig seine Uraufführung erleben wird. Was reizt Sie grundsätzlich an neuen Werken?

Nun, darauf gibt es verschiedene Antworten. Eine Antwort ist, dass Komponisten Musiker brauchen, um ihre Musik zu erschaffen. Als Musiker haben wir auch die Verantwortung, die Aufgabe und das große Privileg, mit Komponisten unserer Zeit zu arbeiten und ihre Musik zu spielen. Wir spielen so viel Repertoire von Komponisten der Vergangenheit, die zu treffen wir uns erträumt hätten. Aber eine solch enge Zusammenarbeit mit einem Komponisten ist wirklich ein Geschenk – besonders wenn man die Chance hat, ein Stück für sich schreiben zu lassen. Ich spiele eine Menge neuer Werke und ich arbeite mit Komponisten zusammen, die ich bewundere. Musik ist wie eine gemeinsame Sprache. Und welche Sprachen mag ich? Viele verschiedene Sprachen, viele verschiedene Arten. Aber das Wichtigste in der Musik sind die Emotionen. Das Repertoire, das ich spiele, ist Musik, die meine Emotionen bewahrt, sodass ich sie mit dem Publikum teilen kann.

Thierry Escaich dürfte nur einem kleinen Teil des Publikums bekannt sein. Was charakterisiert diesen Künstler?

Thierry Escaich ist ein extrem begabter Musiker. Zunächst ist er Organist, er spielt Orgel und Klavier und ist ein unglaublicher Improvisator. Die Weise, wie er improvisiert, wie er Musik aus seiner Inspiration durch die Orgel oder das Klavier erschafft und komponiert – er hat das einfach im Blut. Ich habe das Glück, Thierry seit vielen Jahren zu kennen, und ich habe viele seiner Kompositionen gehört. Er hat 2006 das Doppelkonzert für Violoncello »Miroir d'ombres« für mich geschrieben, wir haben also schon viel zusammengearbeitet. Bereits seit vielen Jahren haben wir über das Cellokonzert gesprochen, das wir 2023 zur Premiere bringen werden, deshalb freue ich mich sehr, dass es jetzt zustande kommt und das auch noch mit so fantastischen Musikern. Ich freue mich wirklich sehr, wieder bei den Salzburger Osterfestspielen zu sein und diese Uraufführung von Thierry Escaich dort zu spielen. Danach geht es weiter nach Boston, wo wir die amerikanische Premiere spielen. Die Konzertreihe wird dann Ende April in der New Yorker Carnegie Hall beendet. Es ist also sehr aufregend. Aber ich habe volles Vertrauen zu Thierry, ich kenne seine Sprache, ich liebe seine Art zu schreiben.

Escaich meinte einmal in einem Interview: »Ich liebe den Groove!«. Hat seine neueste Komposition mit dem Titel »Les Chants de l'Aube« diesen Groove?

Tatsächlich habe ich keine Ahnung, weil ich das Stück noch nicht gesehen habe (lacht), aber ich kann bestätigen, dass er dieses Talent, den Groove sowohl in den lyrischen Anteilen als auch den rhythmischen Aspekten seiner Musik hat. Ich denke, Thierry hat all diese Eigenschaften, die ihn zu einem bedeutenden Musiker machen.

Im Kammerkonzert spielen Sie Franz Schuberts einziges Streichquintett in einer Besetzung mit zwei Celli. Warum, denken Sie, hat sich Schubert für dieses Stück zwei Celli erdacht?

Dieses Streichquintett von Schubert ist ein Meisterwerk. Ich werde das zweite Cello spielen, was ein unglaublicher Part ist. Der Gastcellist spielt immer das zweite Cello, und ich glaube, dass jeder Cellist diese Stimme besonders mag, weil sie wirklich bis auf den Grund unseres Instruments geht. Man könnte sagen, die zweite Cellostimme ist die Basis, das Rückenmark dieses Stücks. Und natürlich dieses langsame Pizzicato im Adagio – ja, dieses Schubert-Quintett ist ein Meisterwerk der Musik. Und ich freue mich sehr, dass wir es in Salzburg aufführen werden.

Gautier Capuçon © Anoush Abrar

Schubert schrieb nach der Komposition an seinen Bruder: »Frylich ist’s nicht mehr jene glückliche Zeit, in der uns jeder Gegenstand mit einer jugendlichen Glorie umgeben scheint, sondern jenes fatale Erkennen der miserablen Wirklichkeit …« ein bitteres Fazit nach einem unglücklichen Leben?

Man kann die Melancholie in diesem Streichquintett natürlich fürchten, das tatsächlich sehr melancholisch ist. Es ist ein umfassendes Stück, man geht wirklich auf eine Art Reise mit Schubert. Und ja, es ist (seufzt) – ich würde nicht bitter sagen, das Zitat ist ein bisschen bitter, da stimme ich zu, aber das Stück ist nicht bitter. Das Stück ist sicherlich sehr berührend und diese nostalgische, sehr emotionale Musik drückt viele Gefühle aus. Man kann diese Zerbrechlichkeit spüren, wir sprechen jetzt nicht vom Scherzo oder dem Allegretto, sondern wir sprechen hauptsächlich über den ersten (Allegro ma non troppo) und den zweiten (Adagio) Satz. Im zweiten Satz gibt es natürlich diesen dramatischen Mittelteil, zwischen dem melancholischen Thema und dem Beginn des Dialogs zwischen der ersten Violine und dem zweiten Cello, er ist wirklich bildhaft und emotional.

Sie haben schon mehrfach mit dem Gewandhausorchester zusammengearbeitet – was macht dieses Orchester besonders?

Das Orchester ist so ein wunderbarer Klangkörper mit wunderbaren Musikerinnen und Musikern. Ich hatte schon mehrfach das Glück, mit ihnen zu spielen. Dieser historische Klang, den sie immer noch in sich tragen, ihr Ausdruck und ihre Kraft sind außergewöhnlich. Als Solist tritt man ja mit ganz unterschiedlichen Musikerinnen und Musikern auf, mit verschiedenen Orchestern in weit voneinander entfernten Konzertsälen, und es ist so ein Luxus, sich inspirieren zu lassen und zu sehen, wie sehr sich die Art, wie man spielt und wie man den Klang erzeugt, mit den verschiedenen Orchestern und den verschiedenen Musikerinnen und Musikern verändert. Und die Klangtextur des Gewandhausorchesters ist außergewöhnlich und sehr inspirierend.

Auch mit Andris Nelsons verbindet Sie eine künstlerische Partnerschaft. Wie entwickelt sich im Bereich der klassischen Musik und einer globalen Welt so eine enge Zusammenarbeit?

Andris und mich verbindet eine lange Geschichte. Ich glaube, es war 2001, als wir zum ersten Mal zusammen gespielt haben. Er war Musikdirektor des City of Birmingham Orchestra und wir sind gemeisam auf Europatournee mit Schostakowitschs 1. Cellokonzert gegangen. Die habe ich in sehr guter Erinnerung. Seitdem sind wir regelmäßig miteinander aufgetreten. Zuletzt waren wir in Tanglewood und im Juni 2022 mit den Wiener Philharmonikern beim Sommernachtskonzert 2022 im Schlosspark Schönbrunn. Wir haben das Cellokonzert von Camille Saint-Saëns gespielt und es ist immer eine Freude, unter der Leitung von Andris zu arbeiten. Er ist ein unglaublicher Musiker, er ist sehr instinktiv, er fühlt und atmet die Musik.