Ein Spiel der Erinnerungen in drei Sätzen

Der Komponist und Organist Thierry Escaich präsentiert im Rahmen des Orchesterkonzerts II ein neues Stück für Violoncello, gespielt von Gautier Capuçon.

© Marie Rolland

Thierry Escaich, Sie sind Organist und Komponist. Wie unterscheidet sich das Komponieren für Sie davon, Musik zu interpretieren?

Für mich sind die beiden Dinge sehr eng miteinander verknüpft. Durch die Improvisation, die ich in meinem Orgelspiel viel praktiziere, habe ich eine bestimmte Weise gefunden, eine Idee direkt wirksam werden zu lassen. Diese Ideen sind dann in meinen Kompositionen wiederzufinden. Die Improvisation birgt eine Besonderheit auf diesem Weg von der Idee zur Komposition: Sie nährt sie, bringt die Idee zum Erblühen und führt so zur Komposition. Die beiden Tätigkeiten sind also völlig miteinander verbunden und das ist der Grund, warum ich meine Tätigkeit als Interpret und als Improvisator fortsetze und warum sie zu meiner Arbeit als Komponist dazugehören.

Wenn Sie den Auftrag für ein Werk bekommen, wie gehen Sie daran? Woher kommt die Inspiration, wie entsteht die Dramaturgie?

Als Gautier Capuçon mich bat, ein Cellokonzert zu schreiben, war das ein alter Wunsch von ihm. Es ist fast zehn Jahre her, dass wir gemeinsam darüber gesprochen haben, und als er mir sagte, für welches Orchester es bestimmt ist, wusste ich sofort, was ich mit diesem Stück machen werde. Ich habe es gleich als eine Arie begriffen, in der Art, die sich an die Musik von Johann Sebastian Bach anlehnt und die, könnte man sagen, vielleicht etwas pompös oder kirchlich angehaucht ist, etwa mit dem hallenden Klang. Das war sozusagen der Auslöser. Ich stellte mir das Solocello vor und wie die anderen Celli und Instrumente auf diese Art Arie reagierten. Das war für mich der Ausgangspunkt des Stücks und dann haben sich alle Elemente wie ein symphonisches Gedicht zusammengefügt. Die Idee der Arie entwickelt sich im Laufe des Stücks, das sich nun vor uns auftut, weiter.

Neben Ihrem Werk werden bei dem Konzert auch Werke von Bach sowie von Robert Schumann gespielt. Wie ist Ihr Bezug zu diesen beiden Komponisten?

Ich werde oft gefragt, was meine Musik mit der Musik von Komponisten wie Bach oder Schumann zu tun hat, und als ich gesehen habe, dass beide im Orchesterkonzert II auch gespielt werden, habe ich mich sehr gefreut.
Bach ist ganz einfach die Basis meines Diskurses als Organist; ich spiele Bach, ich improvisiere auch in diesem barocken Geist von Bach und ich denke, dass man ihn, wie schon ausgeführt, in der Komposition dieses Stückes wiederfinden wird. Bach ist zum einen die Fuge, aber Bach ist auch der Tanz und dieses Stück ist sehr eng mit der Idee des Tanzes verbunden, das wird man im Verlauf des Stückes erleben. Was Schumann betrifft, so denke ich, dass der Titel des Werkes »Les Chants de l’Aube« (»Lieder der Morgenröte«, Anm. d. Red.) tatsächlich auf Schumanns Romantik verweist. Diese Romantik, die manchmal ein wenig dämmrig ist, beschreibt gut, wie der erste Satz der »Chants de l’Aube« klingen wird.

Worauf kommt es Ihnen bei einer Komposition für Orchester und Solostimme an? Wie würden Sie deren Verhältnis zueinander beschreiben?

Ich frage mich oft, warum man heute noch Konzerte schreiben sollte und wie die Beziehung zwischen einem Solisten, wie dem Cello und dem Orchester ist. Jede Epoche sollte, denke ich, ihre eigenen Ideen von einem Konzert haben. Heute entspricht die vielleicht nicht mehr ganz der Vorstellung, die beispielsweise ein Komponist wie Camille Saint-Saëns hatte.
Man muss sich dieses Konzert – »Les Chants de l’Aube« – eigentlich wie jedes andere Konzert vorstellen. In etwa so wie ein Concerto Grosso, in dem das Cello in gewisser Weise mit verschiedenen Teilen des Orchesters in Dialog tritt. Aber es gibt auch einen Moment, zum Beispiel im Mittelsatz, in dem es integriert ist, es ist sogar eines der Celli, der Cellogruppe, das eine große erzählerische Melodie vorgibt, in der sie zusammen sind, so, als ob sich Gautiers Cello mit den anderen Celli multiplizieren würde. Aber ich denke, jeder Komponist wird sich seine eigenen Mittel ausdenken, um ein Konzert zu schaffen.

© Marie Rolland

Das Stück, dass im Rahmen der Osterfestspiele aufgeführt wird, ist ein Werk für Violoncello und Orchester. Was macht das Cello für Sie besonders?

Ich habe eine besondere Beziehung zu diesem Instrument, denn ich habe viele meiner gegenwärtigen Werke, auch Orchesterstücke für Cello geschrieben. Für Cello und Viola werden, denke ich, weniger Werke geschrieben als zum Beispiel für Violinen, einfach weil jene eher in der Mitte des Orchesters auftreten und mehr als Teil des Ganzen gesehen werden. Vielleicht hat mich das dazu gebracht, einige Komposition für dieses Instrument zu entwickeln, und Gautier ist offensichtlich ein sehr guter Botschafter des Instruments. Sein Violoncello hat wirklich einen sehr vollen Klang, in gewisser Weise singt es. Seitdem ich den Auftrag für dieses Stück erhalten habe, und das war wirklich besonders inspirierend, hörte ich sein Cello in seinen hohen und tiefen Lagen und es schien geradezu auf die anderen Celli und das Orchester zu antworten.

Wie hört sich Ihre Musik an, wie würden Sie sie in Worten beschreiben?

Mein musikalischer Stil ist schwer zu beschreiben (lacht). Ich würde sagen, dass dieses Stück, das in drei Sätze unterteilt ist, verschiedene Stile aufweist. Zum einen ist da ein Hybrid aus Arien, könnte man sagen, die ein bisschen im Barockstil gehalten sind. Gleichzeitig werden sie auf anderen Ebenen des Orchesters durch reminiszente Klänge unterstrichen. Eigentlich ist es ein Spiel der Reminiszenzen, ein Spiel der Erinnerungen in drei Sätzen.
Im zweiten Satz sind wir dann eher bei einem mehrstimmigen Gesang, vielleicht sogar bei traditioneller Musik. Das ist das, was mich im Moment am meisten interessiert, dass ich Musik finde, die auf traditioneller Musik basiert und aus der ich meine eigene »traditionelle« Musik kreieren kann. Der letzte Satz ist einfach der Tanz, der »Danse de l’Aube« – wir werden sehen, ob der Tanz aus dem Nichts entstehen und am Ende das Orchester überflügeln will.

Ostern, das ist die Zeit des Neubeginns, im christlichen Sinne die Zeit der Auferstehung. Inwieweit ist dieses Gefühl des Neubeginns wichtig beim Kreieren neuer Kompositionen, aber auch für die Musik grundsätzlich?

Es stimmt: Hier in Salzburg wird das Stück zur Zeit des Osterfestes, also zur Zeit der Auferstehung, aufgeführt. Ich denke, dass die Verbindung auf jeden Fall so organisch ist, weil der letzte Satz, wenn man sich in der Erinnerung und in der Beschwörung nach dem zweiten Satz befindet, wirklich für Bewegung sorgt. Wir werden das hören: Er kommt aus der Tiefe und dann katapultiert er sich über die Täler – das entspricht wirklich der Idee der Wiedergeburt. Und ich glaube tatsächlich, dass dieses Stück in gewisser Weise mit der Osterzeit verbunden ist, es ist eine Art des Jubilierens. Wenn ich der Komposition einen anderen Titel geben wollte, wäre es »D’exultait« (»Jubilieren«, Anm. d.er Red.).

Zuletzt noch die Frage: Was verbinden Sie mit der Stadt Salzburg?

Ich war vor einem Jahr in Salzburg, und ich muss sagen, dass die Stadt natürlich für jeden Komponisten inspirierend ist, wenn man die Vergangenheit betrachtet. Aber es ist vor allem die Bergwelt und die Umgebung, die ich als Tourist und Naturliebhaber besonders mag. Ich erinnere mich noch gut an sehr schöne Spaziergänge, allein in der Natur in den Bergen rund um Salzburg, dort hatte ich, zumindest in diesem Teil Europas, einige der schönsten Momente meines Lebens. Vielleicht ist es tatsächlich die Beziehung zur Natur, die mir besonders am Herzen liegt, wenn ich Salzburg höre.